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Warum entscheidet sich der eine für den Widerstand gegen ein menschenverachtendes Regime, warum hingegen wird der andere zum „Mitschwimmer“, ohne den keine derartige Herrschaftsform existieren kann?

Diese Frage ist es in erster Linie, die Dr. Martin Beyer in seiner Lesung am MGF-Gymnasium aufwirft. Beyer, 1976 geboren und in Bamberg wohnhaft, ist promovierter Germanist, freier Schriftsteller und Dozent für Kreatives Schreiben und Storytelling. Nach einem Roman über den expressionistischen Schriftsteller Georg Trakl ist „Und ich war da“ Beyers zweiter Roman, mit dem er auch im Jahre 2019 Finalist bei dem Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt gewesen ist. Am 20. Februar 2020 stellte Martin Beyer in der Aula des MGF-Gymnasiums seinen Roman „Und ich war da“ den Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Jahrgangsstufe vor.

Beyers Roman stützt sich auf die Protokolle über die Hinrichtung der Mitglieder der Widerstandsorganisation „Weiße Rose“ am 22. Februar 1943. Hauptverantwortlicher für die Durchführung der Hinrichtung war der Henker Johann Reichhart. Da dessen Biografie laut dem Autor „zu gewaltig“ für eine Darstellung in Romanform gewesen wäre, thematisiert „Und ich war da“ den Werdegang des (fiktiven) Henkersgehilfen August Unterseher. Als Einstimmung und Vorinformation zur Handlung des Romans zeigt Beyer eine Präsentation zu den hingerichteten Mitgliedern der Weißen Rose Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst. In verschiedenen Etappen wird die Lebensgeschichte eines der namenlosen, im Protokoll der Hinrichtung nicht erwähnten und später auch nicht gerichtlich verfolgten Mittäter dargestellt. August Unterseher hätte, wenn man sein Leben im Rückblick betrachtet, an mehreren Stationen die Möglichkeit gehabt, sich anders zu entscheiden: So verbinden ihn Freundschaften sowohl zu seinem Kameraden Paul als auch zu der Kommunistin und Schwarzhändlerin Isa, die beide über eine beträchtliche Zeit von Augusts Leben hinweg eine wichtige Rolle spielen, um danach jedoch als Gegner des Nazi-Regimes plötzlich aus Augusts Leben zu verschwinden. Laut Martin Beyer ist August Unterseher kein echter Nationalsozialist gewesen, sondern ein Mitläufer, der jedoch mehrmals die nicht genutzte Möglichkeit gehabt hätte, sich anders zu entscheiden.

Damit stelle, so Beyer in dem anschließenden Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern, der Roman die Frage nach dem Warum im Leben eines „Mitschwimmers“. In diesem Zusammenhang weist der Autor darauf hin, dass auch wir heute uns in einer „Schwellenzeit“ befänden, in welcher wir uns entscheiden müssten, in welcher Gesellschaft wir angesichts antidemokratischer Tendenzen, die keineswegs nur in Ländern wie Polen, Ungarn und den USA aufträten, leben wollten. Für uns heute sei es wesentlich einfacher als für einen Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus, Nein zu sagen. Traurige Aktualität gewann die Thematik auch dadurch, dass sich am Vorabend der Lesung die rassistischen Anschläge in Hanau ereignet hatten.

Martin Beyer stellte sich auch interessierten Fragen der Schülerinnen und Schüler zu seinem Leben und seiner Arbeit als Autor. So stelle der Alltag eines Schriftstellers meist eine stille, zurückgezogene Tätigkeit dar. Für den Roman „Und ich war da“ habe er fünf Jahre gebraucht, und es sei für ihn nötig gewesen, sich angesichts der belastenden Thematik auch „Inseln des Rückzugs“ zu schaffen. Was den Verdienst für seine Arbeit angehe, so bringe ihm der Verkauf eines Exemplars des (Hardcover-)Buchs für 20 Euro 1,80 Euro ein. Weitere Verdienstmöglichkeiten seien Unterricht in Kreativem Schreiben, Lesungen und Literaturstipendien, die es in Deutschland in relativ hoher Zahl gebe.

Unter den Schülerinnen und Schülern sowie den Kolleginnen und Kollegen bestand Einigkeit, dass es sich um eine lohnenswerte Veranstaltung mit einer Vielzahl wichtiger Denkanstöße gehandelt habe.